Frei von Sklaverei und Tod
„Pessach“ beziehungsweise „Ostern“
„Es waren noch zwei Tage bis zum Passafest“ – Mit dieser Zeitangabe leitet der Evangelist Markus die Geschichte des Leidens und des Todes Jesu ein (Mk 14,1). Die letzten Tage Jesu und seine Auferstehung gehören zeitlich in den Rahmen des Passa-Festes, nach dem hebräischen Wort auch Pessach genannt. Es geht jedoch um mehr als nur darum, einen Zeitpunkt zu benennen. Nach den Berichten der Evangelisten hat Jesus sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung mit dem Geschehen verknüpft, an das zu Pessach erinnert wird. Jesu Geschick – so die Aussage der Evangelisten – ist nur von daher, von Pessach, zu verstehen.
Pessach bezieht sich auf den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Dort waren die Nachkommen Jakobs zu einem Volk geworden, wurden aber vom Pharao als Sklavinnen und Sklaven unterdrückt. Mose erhält den göttlichen Auftrag, das Volk Israel aus der Knechtschaft herauszuführen. Aber erst nach der zehnten Plage, der Tötung aller ägyptischen Erstgeborenen, willigt der Pharao ein und lässt das Volk ziehen. Das Wort „Pessach“ – wörtlich „Vorübergehen“ – erinnert daran, dass der Todesengel an den Häusern der Israeliten vorbeiging. Als Zeichen diente ihm das Blut eines Lammes, das die Israeliten an die Türpfosten ihrer Häuser gestrichen hatten.
Am Pessachfest erinnert man sich auch heute noch bei einem gemeinsamen Mahl in der Familie oder der Gemeinde an den Auszug aus der Sklaverei. Dabei symbolisieren die verschiedenen Zutaten des Mahles – Lammfleisch, bittere Kräuter, ungesäuerte Brote, Wein u.a. – die verschiedenen Aspekte dieser Befreiung, die zu einem Kernpunkt des jüdischen Glaubens geworden ist. Daher heißt es in der Tradition auch: „In jeder Generation ist jede/r verpflichtet, sich so zu betrachten, also ob er/sieselbst aus Ägypten ausgezogen wäre“.
Die frühe christliche Gemeinde hat im Tod Jesu und seiner Auferstehung ein ähnlich fundamentales Geschehen gesehen, das ihren Glauben begründet und ausmacht: Befreiung von Sünde und Tod. Neben den vielen Bezügen, die Passion und Auferstehung als Befreiungsgeschehen mit dem Pessachfest verbindet, ist vor allem der Auftrag der Erinnerung und Vergegenwärtigung zu bedenken. Nicht umsonst heißt es in den Einführungsworten zum Abendmahl: „Solches tut zu meinem Gedächtnis.“ (1.Kor. 11,24)
Eine jüdische StimmePessach feiert den Auszug Israels aus der Sklaverei Ägyptens. In Erinnerung an diesen Befreiungsakt Gottes wird eine Woche lang ein Fest begangen, das bei religiösen wie bei säkularen Juden so tief verankert ist wie wohl kein anderer jüdischer Feiertag. Während der Pessachwoche werden alle Getreideprodukte aus dem Haushalt verbannt und an deren Stelle das „Ungesäuerte Brot“, die Matzah, und aus Matzemehl hergestellte Teigwaren gegessen. Ein zentrales Gebot des Festes lautet, den Kindern von Auszug und Befreiung zu erzählen, um auch ihnen diese Identifikation mit der Geschichte Israels zu ermöglichen. So beginnt das einwöchige Pessachfest mit dem Sederabend: Familie und Freunde oder auch die Gemeindemitglieder versammeln sich zu einem Festmahl, das einer bestimmten Ordnung („Seder“) folgt. Im Zentrum steht das gemeinsame Lesen der Haggadah, der mit Kommentaren, Psalmen und Liedern angereicherten Erzählung vom Auszug aus Ägypten. Dazu werden symbolische Speisen verzehrt, die die Bitternis der Sklaverei verdeutlichen sollen. Dieses Ritual richtet sich an Kinder und Erwachsene gleichermaßen, denn jede/r ist aufgefordert, sich als Teil dieser Geschichte zu erleben und sie sich zueigen zu machen. – Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg |
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Eine christliche StimmeDie Beziehung zwischen Pessach und Ostern lädt zum Nachdenken über die Beziehung von Judentum und Christentum ein. Die beiden Feste finden ungefähr zur selben Zeit (wenn auch nicht am selben Tag) statt. Sie thematisieren Befreiung. Dabei ist es interessant, wie wenig dem Judentum und Christentum gemeinsame Themen in den Gottesdiensten vorkommen. Die Kerntexte der Synagogenliturgie (Ex 12,21– 51; Jos 3,5–7; 5,2–6,1.27) und der Haggada (Jos 24,2–4; Dtn 6,21; 26,5–8) spielen keine Rolle zu Ostern. Darin zeigt sich, dass die Feiern der österlichen Tage einer anderen Erzählung folgen als das biblische und das spätere jüdische Pessach. Sie bilden die im Neuen Testament erzählte Geschichte vom Einzug in Jerusalem (Palmsonntag) zum letzten Abendmahl, zur Fußwaschung und dem Gebet am Ölberg (Gründonnerstag), zu Leiden, Tod und Begräbnis (Karfreitag) und schließlich zur Auferstehung Jesu (Karsamstag und Ostersonntag) ab. Die christliche Gemeinde erlebt die letzten Tage Jesu – nicht den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. – Prof. Dr. Clemens Leonhard |