Wir trinken auf das Leben
„Purim“ beziehungsweise „Karneval“
Trinken zum Lobe Gottes, kann man das? Darf man das? Was sonst nicht möglich ist oder zumindest verpönt ist, das ist am Purimfest nicht nur erlaubt, sondern geboten: Trinken, bis man nicht mehr weiß, wer gut und wer böse ist. Am Purimfest herrscht eine verkehrte Welt – auch für Kinder, die an diesem Tag in der Synagoge nach Herzenslust Krach machen, pfeifen und schreien dürfen. Dazu kommen märchenhafte, aber auch schrille Verkleidungen – wie zu Karneval. Ja, wahrscheinlich stand das karnevalistische Treiben sogar Pate bei der Entstehung des Brauchs des Verkleidens und der Umzüge.
Der Hintergrund für Purim ist jedoch ein sehr ernster, denn das Fest erinnert an die Geschichte, die im biblischen Buch Ester erzählt wird. Die jüdische Frau Ester wird die Ehefrau des persischen Königs Ahasveros. Doch Haman, der zweite Mann im Staat – man würde heute wohl Premierminister sagen – verlangt, dass alle vor ihm niederknien sollen. Mordechai, der Onkel und Pflegevater der Königin Ester, widersetzt sich aus religiösen Gründen dem Befehl. Daraufhin plant Haman den Genozid an den Juden; durch das Los (Purim bedeutet Lose) wird der Tag des Massenmords auf den 13. Tag des zweiten Monats im Jahr festgelegt. Ester gelingt es jedoch, den König umzustimmen und ihre Glaubensgenossen zu retten. Statt des Massenmordes wird die Rettung der Jüdinnen und Juden mit einem Festmahl gefeiert und das Purimfest eingesetzt.
Dass das jüdische Volk in der Ester-Geschichte den Netzen der Feinde entkommt, mag historisch wahr sein oder auch nicht. Dass Jüdinnen und Juden immer wieder dem Antisemitismus ausgesetzt waren, ist jedoch leider Teil der Geschichte und ist auch heute immer noch Realität. Umso wichtiger ist es, einmal im Jahr verkehrte Welt zu spielen, in der das Böse besiegt werden kann und die Utopie ihren Ort findet. Dies kann auch unsere Vorstellung von Karneval bestimmen. Bei aller kirchlichen Distanz zum bunten Treiben und zur fünften Jahreszeit: Es ist gut, die Machtverhältnisse einmal umzudrehen und die Herrschenden mit Humor vom hohen Ross zu holen.
Auf das Leben – l’chaim, helau und alaaf!
Eine jüdische StimmeKleine und große Clowns, Ritter, Prinzessinnen, Monster, Hexen, Zebras, Hasen und andere phantasievoll gekleidete Gestalten haben sich in der Synagoge versammelt, machen Krach mit Hilfe von Rasseln, trampeln mit den Füßen, pfeifen und bringen „Buh“-Rufe aus. Und all das bei der Verlesung eines biblischen Buches?? Purim ist das Lieblingsfest jüdischer Kinder, denn sie dürfen sich nach Herzenslust verkleiden und brauchen nicht still sitzen, weil der Lärm sogar Teil der Liturgie ist. Wann immer der Übeltäter Haman genannt wird, bricht ein enormer Krach aus, um dessen Namen auszulöschen. – Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg |
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Eine christliche StimmePrächtige Prinzenwagen von Düsseldorf bis Mainz, spärlich bekleidete sambatanzende junge Frauen in Rio, vornehme Masken in Venedig, urtümliches Geistertreiben in Rottweil und Luzern – das sind Bilder, die beim Stichwort „Karneval“ aufsteigen. Dass „Karneval“ ursprünglich die Tage vor dem Beginn der vorösterlichen Fastenzeit im Christentum bezeichnet, ist heute wohl zunehmend weniger bewusst. Traditionell verzichteten Christen und Christinnen in den vierzig Tagen vor Ostern auf den Verzehr von Fleisch und schränkten auch sonst ihr Leben ein. An Karneval sagte man „dem Fleisch Lebwohl“ („carne vale“). – Marie-Theres Wacker |