In der 700 Jahre alten Apostelkirche wurde schon immer gesungen. Zunächst von den Franziskaner-Minoriten, die die Kirche errichtet hatten, in den Gottesdiensten und Stundengebeten. Mit Ihrer Umwandlung in die erste evangelische Kirche Münsters begann 1804 auch die Geschichte der Evangelischen Kirchenmusik mit Kantatengottesdiensten, konzertanter Orgelmusik und z.T. großen Chor-Aufführungen. Diese wurden entweder durch den Musikverein oder kurzfristig gebildete „Projektchöre“ ausgeführt.
Zur Geschichte der Kirchenmusik an der Apostelkirche
1633, mitten im Dreißigjährigen Krieg stiftete Anna Dorhoff 1600 Reichstaler. Fest angelegt sollte – nur von den Zinsen – regelmäßig Kirchenmusik von hoher Qualität in der Apostelkirche finanziert werden, wozu neben der Instrumental- auch die Chormusik zählte. Die Stifterin war Witwe des Lambert Raesfeld, des Gründers der Buchhandlung und Druckerei Regensberg, die bis vor wenigen Jahren am Drubbel gegenüber der Lambertikirche ansässig war.
1644-49 lebte der päpstliche Gesandte Fabio Chigi als Friedensvermittler mit seinem Gefolge im Kloster neben der Kirche. Täglich nahmen er und Gesandte aus ganz Europa am Gottesdienst in der Apostelkirche teil. Berühmt geworden ist die Predigt des Französischen Gesandten François Ogier am Karfreitag, dem 30. März 1646, die er vor fast allen katholischen Gesandten hielt. Er redete ihnen streng ins Gewissen und forderte die Anwendung der Prinzipien des Evangeliums auf das politische Handeln.Neben dem Friedenssaal im Rathaus und dem Krameramtshaus ist die Apostelkirche der einzige noch erhaltene Originalschauplatz des Westfälischen Friedensschlusses.
1804 erfolgte die Umwandlung zur „ersten protestantischen Kirche Münsters„. Damit begann auch die Geschichte der Evangelischen Kirchenmusik in Münster, die sich – damals noch mehr als heute – von der allgemein praktizierten Katholischen Kirchenmusik unterschied.
Mehr lesen1818 begann eine umfassende Renovierung der Kirche.
1822 wird unter Beaufsichtigung von Wolff eine neue Orgel von der holländischen Firma Adolf Hillebrand eingebaut, mit 35 Registern auf 2 Manualen und Pedal ein für westfälische Verhältnisse großes und attraktives Instrument. Die alte Orgel wird nach gründlicher Überholung in der St. Lamberti-Kirche aufgestellt.
1827 führte zwei berühmte Musiker durch Taufgottesdienste in die Apostelkirche. Der Opernkomponist Albert Lortzing war zu der Zeit 25 Jahre alt und lebte einige Jahre als Schauspieler und Sänger in Münster. Zwei seiner Töchter wurden hier getauft. Ungefähr in dieser Zeit kam der Kasseler Hofkapellmeister Louis Spohr zu einer Taufe in die Apostelkirche. Er war Pate eines der Kinder des o.g. Dommusikdirektors Georg Schmidt.
Älteste Bach-Tradition in Münster
Ab 1857 wirkte Friedrich Smend, ein sehr musikliebender Pfarrer an der Apostelkirche. Der Name Smend lässt jeden Bach-Kenner auf- horchen, weil später sein Sohn Julius Smend, und wiederum auch dessen Sohn Friedrich Smend als Bach-Wissenschaftler international bekannt wurden. Für Münster ist er bedeutsam, weil er erstmalig in seinen Gottesdiensten Kantaten von Bach aufführen ließ. Das war neu im katholischen Münster und somit der Beginn der ältesten Bach-Tradition unserer Stadt, die bis heute von der Kantorei fortgeführt wird. Seine Bach-Liebe hat auch den späteren Lebensweg seines Sohnes Julius mit geprägt.Mehr lesen
Der berichtet nämlich, sein Vater sei mit dem städtischen Musikdirektor Julius Otto Grimm, der den Chor und das Orchester des Musikvereins leitete „im Bunde“. An besonderen Festtagen des Kirchenjahres führten sie gemeinsam Bach-Kantaten im Gottesdienst auf.
Diese ersten musikalischen Erfahrungen bereits im Kindesalter haben sich Julius Smend eingeprägt, auch der Wechselgesang, bei dem sein Vater passende Strophen auf Gemeinde und Chor, oder auf Männer- und Frauenstimmen verteilte, um den Gemeindegesang zu fördern.
Julius Smend, der Sohn des Apostelpfarrers Friedrich Smend, wurde Theologe und zugleich einer der bedeutendsten Förderer und Erneuerer der Evangelischen Kirchenmusik um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Nach verschiedenen beruflichen Stationen wurde er 1914 Mitbegründer und erster Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät seiner Heimatstadt Münster.
Julius Smend prägte durch Aufsätze und Vorträge das Bach-Verständnis seiner Generation. Mehrfach gestaltete er Gottesdienste zu Bach-Festen der Deutschen Bachgesellschaft. Er arbeitete im Vorstand der Bachgesellschaft mit und war seit 1926 deren Vorsitzender. Max Regers 1901 erschienene Choralphantasie op. 52,1 für Orgel „Alle Menschen müssen sterben“ ist „Sr. Hochwürden Herrn Professor Dr. Julius Smend hochachtungsvollst zugeeignet.
Die Feier zum Gedenken an seinen Tod fand am 7.6.1931 in „seiner“ Apostelkirche statt. Die Ansprache hielt sein Nachfolger an der Theologischen Fakultät Wilhelm Stählin. Der Bach-Chor sang unter Leitung von Karl Seubel Werke von Rosenmüller, Schütz und Bach.
Auch die nächste, d.h. die 3. Generation der Famile Smend setzt die „Bach-Linie“ weiter fort: Julius Smends Sohn Friedrich Smend (der Enkel also) wurde zu einem der kenntnis- und einflußreichsten Erforscher des Lebenswerkes von J. S. Bach im 20. Jahrhundert. Besonders bekannt wurden seine Erläuterungen zu den kirchlichen Kantaten Bachs. Für die „Neue Bachgesellschaft“ veröffentlichte er 1954 die Partitur der h-Moll-Messe.
1921 gründete Julius Smend zusammen mit Karl Seubel den „Bach- Verein“
1928 spielte Albert Schweitzer (Mitte) auf Einladung Seubels einen Bachabend in der Apostelkirche.
Konzertabende, an denen ausschließlich Werke von Bach aufgeführt wurden, waren damals ungewöhnlich und ein Wagnis.
Wohl gerade deswegen veranstaltete Seubel eine Konzertreihe mit dem Motto „Bach dem Volke„, in der er mit diesem Chor die großen Oratorien und Kantaten Bachs in Münster bekannt machte.
Programm von 1921
Bislang gab es zwar immer noch keinen festen Chor an der Apostelkirche, aber immer wieder „Projektchöre“, die die Gottesdienste festlich gestalteten.
Wolfgang Klare (1914-1982)
Die Geschichte der Kantorei im heutigen Sinne begann 1946, als mit Wolfgang Klare erstmals ein hauptamtlicher Kantor an der Apostelkirche angestellt wurde, der die Kantorei gründete. Nach dessen Pensionierung folgten 1979 Wolfgang Mielke und seit 1987 Klaus Vetter. So wie nach dem 1. Weltkrieg Karl Seubel kirchenmusikalisches Leben in Münster mühsam aufbauen musste, so erging es auch Wolfgang Klare: als er 1946 in die zerstörte Stadt Münster kam, schien kirchenmusikalisches Leben überhaupt nicht möglich zu sein.
Abgesehen vom Musikverein gehört die Kantorei zu den ältesten Kulturträgern unter Münsters Chören. Bereits ab 1954 führte die Kantorei jährlich, als einziger Chor Münsters das Weihnachtsoratorium von Bach auf – eine enorme Leistung für die Nachkriegszeit – die über 25 Jahre konkurrenzlos blieb. Den Menschen bedeutete das damals noch mehr als heute, weil es ein so vielfältiges kulturelles Leben wie heute noch nicht gab.
Wolfgang Mielke
Durch Zuwanderung zahlreicher Flüchtlinge kamen nach dem Krieg auch viele Evangelische ins Münsterland. Nach und nach entstanden die Gemeinden unseres Kirchenkreises und bildeten eigene Gemeindechöre. Besonders nachdem Wolfgang Mielke 1979 die Kantorei übernommen hatte, kamen aus diesen Gemeindechören viele SängerInnen zusätzlich in die Kantorei, um auch grössere Werke mit Solisten und Orchester mitsingen zu können. Seitdem heisst sie „Kantorei an der Apostelkirche“, denn nur ca. 10% der SängerInnen stammen aus der Apostel-kirchengemeinde selbst, 90% kommen aus dem Kirchenkreis. Damit leistet die Kantorei unter Leitung des Kreiskantors einen steten Beitrag zur Fortbildung der SängerInnnen des Kirchenkreises, die sich auf die Gemeindechöre weiter auswirkt und sie stärkt.
Unter Wolfgang Mielke wurde erstmals auch Mendelssohns „Elias“ und Brahms „Requiem“ aufgeführt. Für die großen Orchesterbesetzungen reichte der Etat natürlich nicht aus, und so wurde 1982 auf Initiative Mielkes der „Förderkreis für Kirchenmusik“ gegründet. Inzwischen könnten wir ohne die Hilfe des Förderkreises und zahlreicher anderer Spender überhaupt keine Oratorien mehr aufführen.
1987 übernahm Klaus Vetter die Leitung der Kantorei.
Bis zu dieser Zeit hatte die Kantorei die großen Passionen Bachs noch nie gesungen – das war in Münster über viele Jahre ausschließlich Sache des Musikvereins. Als GMD Lutz Herbig diese Tradition beendete, konnte die Kantorei daran anknüpfen und 1990 erstmals die Matthäus-Passion und 1993 die Johannes-Passion aufführen.
Zum Jubiläum „350 Jahre Westfälischer Frieden“ 1998 bat die Stadt Münster alle Institutionen und Vereine um Beiträge. Da die Apostelkirche einer der drei erhaltenen Originalschauplätze aus dieser Zeit in der Stadt ist, organisierte die Gemeinde zusammen mit dem Stadtmuseum eine Ausstellung zur Geschichte der ehemaligen Klosterkirche und zu Fabio Chigi.
Mit einem speziell auf das Friedens-Thema abgestimmten Programm gab die Kantorei das wohl aufwändigste Konzert ihrer Geschichte: Haydn „Missa in tempore belli“, Frank Martin „In terra pax“ und eine Komposition des Zeitgenossen Thilo Medek „Der Friede wird immer gefährlicher“ nach einem Text von Friedrich Dürrenmatt. Die Werke von Martin und Medek waren Erstaufführungen in Münster.
Die Leistungsfähigkeit und das Repertoire der Kantorei wurden stetig weiter entwickelt und konnte 2006 zum 60. Jubiläum mit einer ganzen Reihe von Bach-Konzerten eindrucksvoll unter Beweis gestellt werden: der Matthäus-Passion und des Magnificat, mit Kantate 137 „Lobe den Herren“.
Die letzten Konzerte ab 2016 waren das Résumé von 32 Jahren enger musikalisch-menschlicher Zusammenarbeit zwischen der Kantorei und Klaus Vetter: Es folgten Kernwerke der evangelischen Kirchenmusik: Brahms-Requiem, Bach h-Moll-Messe (zum Luther-Jubiläum 2017), Johannes-Passion, Weihnachtsoratorium, und Mendelssohns Elias. Den Abschluss bildete Bachs Matthäus-Passion.
Seit dem 1. April 2019 übernahm Kantor Konrad Paul die Leitung der Kantorei und wird zukünftig die evangelischen Kirchenmusik der Stadt prägen.